Sonntag, 24. Juni 2007

Das Gesetz der Prärie

Immer noch dominiert das Gesetz der Prärie: Der Stärkere unterdrückt den Schwächeren. Jeder bekommt das zu spüren. Und jeder glaubt, das sei die Regel nach der diese Welt funktioniert. Gewissermaßen das Ziel. Wir sehen es bei den Tieren. Wir sehen es im Universum: Überall wird gerafft und gefressen. Ganze Sternsysteme verschlingen sich. Ja es scheint tatsächlich so zu sein, dass überall dort, wo Materie in Erscheinung tritt – und der Mensch selber ist ja Materie –, es zu Machtkämpfen und Kriegen kommt. Moralische oder ethische Grundsätze mögen vielleicht edel sein, aber sind sie auch hilfreich und gut? Wie hat Jesus gesagt? Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Und die Prinzen? Die haben gesungen Du musst ein Schwein sein in dieser Welt. Hätten beide recht – und Schopenhauer sowieso –, dann würde die Welt, in der wir leben, immer so bleiben, wie sie ist.
Sicher, wir müssen den Widerspruch durchleben, ob wir wollen oder nicht. Er ist in diese Welt buchstäblich hineinprogrammiert. Aber uns mit dem Gesetz der Prärie abfinden? Ist der Mensch da, um die Regeln des Tierreichs nachzuäffen? Sollen wir uns weiter einen Adler oder Geier auf die Fahnen schreiben anstelle eines Delphins? Der Mensch ist ein gespaltenes Wesen. Er schleppt den ganzen Rattenschwanz seiner Evolution mit sich herum – das Kämpferische, Animalische. Daraus resultiert das Verlangen, auf der Seite der Sieger zu stehen. Das Bedürfnis nach Stärke! Und wie stark dieser animalische Trieb ist, wird jahrein jahraus mit großer Leidenschaft demonstriert, indem zum Beispiel tausende Mitglieder von militärgeschichtlichen Vereinen Schlachten der Weltgeschichte nachstellen. Erst kürzlich – hab ich gelesen – trafen sich über 4000 auf den Feldern von Mähren, um den 200. Jahrestag der Schlacht von Austerlitz – des Sieges von Napoleon – zu feiern. Damals standen den französischen Truppen die Truppen des österreichischen Kaisers Franz II. und des russischen Zaren Alexander I. gegenüber. Bei den Franzosen gab es lediglich 1.300 Tote, während es auf Seiten der Alliierten über 16.000 Tote gab. Vielleicht kommen ja militärgeschichtliche Vereinsvorsitzende im Jahr 2042 sogar auf die Idee, die Schlacht um Stalingrad nachzustellen. Bleibt nur zu hoffen, dass dann der strenge Winter diesem Unterfangen einen Strich durch die Rechnung macht – wenn schon nicht ein höheres Bewusstsein ...

Donnerstag, 21. Juni 2007

Des Kaisers neue Kleider

Ein Freund von mir ist Physiker. Er glaubt fest an die Weltformel. Er meint, wenn sich alle fünf bis zehn Jahre unser Wissen verdoppelt, dann sei ihre Entdeckung nur eine Frage der Zeit. Das sehe ich anders. Ich denke, die heutige Wissenschaft steckt in einer Sackgasse, weil die Aufspaltung in immer mehr Forschungszweige, Fachbereiche und Spezialgebiete insofern ein Holzweg ist, da kaum einer mehr den Überblick hat – den Blick für das Ganze. Das führt zwangsläufig zur Trennung von Ich und Welt und – wie Gottfried Benn es nannte – in die schizoide Katastrophe.
Also leiden wir weiter unter der abendländischen Schicksalsneurose. Die Kosmologen verkünden, wir stünden kurz davor, der Welt auch noch den letzten Schleier zu entreißen. Doch das Fundament der Physik, auf das sie sich berufen, ist auf Sand gebaut.
Wieso? fragt der Physiker. Ganz einfach deshalb, antworte ich, weil es normalerweise weder die Welt noch uns geben dürfte. Die klassische Physik verbietet geradezu das, was sie postuliert – die Existenz von stabilen Atomen. Denn die unterschiedlichen Ladungen im Innern, die ja beschleunigt sind, müssten ständig Energie verlieren und ineinander stürzen. Ebenso dürfte es uns nicht geben, weil das Ich – die erste Person – in unserem naturwissenschaftlichen Weltbild nicht vorkommt. Aber man tut so, als wären diese Probleme gar nicht da. Wir sollten endlich zugeben, dass der Kaiser keine Kleider anhat. Man kann den Geist nicht aus der Materie erklären, ja wir stehen gerade mal am Anfang einer Entwicklung hin zu einem völlig neuen Verständnis von Wirklichkeit.

Na bitte! sagt der Physiker. Dann wird es eben noch ein paar Jahre dauern. Aber irgendwann werden wir eine einheitliche Theorie haben.
Werden wir nicht, meine ich. Denn diese Theorie hätte einen entscheidenden Mangel. Sie würde das Spezielle leugnen. Eben gerade weil sie empirische Sachverhalte beschreibt und keine individuellen. Das heißt, das Erkenntnisproblem durch Reduktion und Verallgemeinerung lösen zu wollen, ist ein Trugschluss. Der beste Beweis dafür ist die Entstehung unserer Welt selber und natürlich die Entstehung von Bewusstsein. Den Übergang vom anorganischen zum organischen Leben mit statistischem Zufall zu erklären ist absurd. Demzufolge würde es 10 hoch 1.800.000 Jahre dauern, bis aus der sogenannten Ursuppe ein Bakterium entstünde! Betrachtet man das menschliche Leben im statistischen Gesamtzusammenhang, dann sind wir einfach nur spiralförmige Windungen sich selbst kopierender DNA, winzige Klümpchen aus Kohlenstoff und Wasser, die auf einem mikroskopischen Pünktchen im sichtbaren Teil des Alls ein paar Jahre lang herumkreuchen, um danach wieder in die entsprechenden Elemente zu zerfallen. Dann ist das ganze Leben wirklich nur ein bedeutungsloser Zufall – ohne Sinn und Ziel. Dann wären wir – wie Sartre es ausdrückte – gar keine Brieföffner mit festgelegtem Wesen zu einem bestimmten Zweck, sondern nur wesenlose Feuersteine, die rein zufällig auch zum Brieföffnen nütze sind.
Aber was ist, sagt der Physiker, wenn es irgendwann Computer gibt, die es uns ermöglichen, das Problem von einer Metaebene zu betrachten? Darauf antworte ich, man könne nachweisen, dass es nie gelingen wird, einen Computer zu bauen, der einen eigenen Zustand vorhersagen kann, bevor dieser Zustand tatsächlich eintritt. Man kann nicht einmal die künftigen Zustände endlicher Systeme vorhersagen. Unterm Strich heißt das: Wir können Informationen nicht schneller verarbeiten, als es das Universum selbst kann. Es sei denn, wir betrachten das Problem von der Metaebene eines anderen Universums ...

Mittwoch, 20. Juni 2007

Max Boot und die Weltgesellschaft

Was ist wohl vom einstigen Herausgeber des Wall Street Journals zu halten? Amerikas berühmter Neokonservativer findet George W. Bush natürlich Klasse. Endlich einer, der ’s den Scheichs und Mullahs da unten am Golf mal so richtig zeigt, wo ’s langgeht! In einer Welt voller Schurkenstaaten und terroristischen Zellen, so schreibt er sinngemäß, biete eine den Globus beherrschende USA den besten Garanten für Frieden und Stabilität. Und sicher gibt es eine Menge Leute, die dieses Argument einleuchtend finden. Sie merken nicht, dass es ein Trick ist: ein Koffer mit doppeltem Boden. Denn eigentlich geht es um etwas ganz anderes. Nämlich um die Herausbildung einer neuen imperialen Ordnung oder schlichtweg um die Weltherrschaft. Man könnte diesen Prozess auch Globalisierung nennen – euphemistisch ausgedrückt. In jedem Falle geht es um Machtexpansion im globalen Maßstab. So sieht es aus. Die oberste Schicht dieser Machtpyramide bildet eine kleine Elite. Sie besitzt über dreiviertel des gesamten Reichtums der Welt. Zu ihr gehören – so schreiben Hardt und Negri in ihrem Buch Empire – verschiedene Clubs wie der Pariser oder Londoner Club und das World Economic Forum in Davos sowie ein vielfältiges Netz informeller Vereinigungen. Dort werden die Entscheidungen getroffen und anschließend die Informationen gefiltert, die zur Basis durchsickern sollen. Die Basis, also die unterste Schicht der Pyramide, ist die Ebene der Politik. Sie repräsentiert mehr oder weniger die Interessen des „globalen Volkes“, der politischen Systeme der Nationalstaaten, der Vereinten Nationen, der Nichtregierungsorganisationen und so weiter. Wir sehen daher immer nur die Spitze eines Eisbergs. Schön bunt bemalt, in den schillerndsten Farben!
Das liegt auch in der Natur der Sache. Oder besser: in der Natur komplexer Systeme. Denn sowohl ein Universum als auch eine globale Weltgesellschaft sind hochkomplexe Systeme und da wie dort gelten im Grunde die gleichen Regeln. Demzufolge sind unsere physikalischen Gesetze vergleichbar mit der untersten Schicht der Machtpyramide. Sie sind vordergründig und liefern Erklärungen für all die Dinge, die wir sehen und erleben. Aber sie sind nicht wirklich essenziell. Ganz im Gegenteil. Sie sind Blendwerk. Sie gehorchen Gesetzen, die im Hintergrund agieren, eine oder mehrere Ebenen dahinter. So zerren an den Sternhaufen unsichtbare Kräfte, Energien von unvorstellbarem Ausmaß, die mit den uns bekannten Gesetzen der Physik nichts am Hut haben. Wir wären Narren, wenn wir glaubten, das, was sich ereignet, sei das wahre Geschehen. Ganz gleich, ob wir Galaxien, Sterne oder Akteure einer Weltgesellschaft betrachten, was wir sehen ist immer nur die Spitze des Eisbergs.