Samstag, 25. Juni 2016

Zum Brexit

Nun ist es also passiert. Die Briten gehören nicht mehr zur Europäischen Union. Ist das der Anfang vom Ende Europas? Gut möglich, könnte man meinen. Denn was ist, wenn die Franzosen unter Marine Le Pen mit einem Referendum folgen und danach die Holländer, Spanier oder Portugiesen? Die Griechen ja sowieso.
Als ich die ersten entsetzten Stimmen aus Brüssel vernahm, vor allem das Geschwafel von Jean Claude Juncker im ZDF, da konnte ich mich für einen kurzen Moment des Eindrucks nicht erwehren, Erich Honecker sei wieder auferstanden, etwas geliftet und geglättet, aber im Grunde Honecker, der irgendwas von sozial laberte und ... man konnte es nur schwer verstehen, so wie einst bei Honecker, der ganze Silben mit seiner Fistelstimme übersprang. Ganz gleich, was er sagte, es war im Grunde egal, denn Honecker stand für ein verknöchertes und überaltertes Politbüro, das den Kontakt zum eigenen Volk verloren hatte und fernab der Wirklichkeit in einem Kokon agierte. Am Ende glaubte dieser Riege alter Männer eh niemand mehr.
Leider ist der Vergleich von Jean Claude Juncker mit Honecker nicht allzu weit hergeholt, wenn es um die Symbolik einer gescheiterten Politik geht. Einer gescheiterten Europapolitik, die nicht die Interessen ihrer Mitgliedsstaaten vertritt und schon gar nicht die Interessen ihrer Bürger. Dabei war man nach der Unterzeichnung des Vertrags von Maastricht (1992) mit so viel Hoffnung in eine neue Ära europäischer Politik gestartet. Ein geeintes Europa sollte her. Ein Europa, das Vorbild sein sollte für Sicherheit und Zusammenarbeit, für gemeinsame Interessen und gemeinsamen Wohlstand. Stattdessen entwickelte sich Brüssel – wie sollte es auch anders sein – in rasantem Tempo zu einem hochkorrupten Zentrum von Bürokraten und Lobbyisten. Nicht zum Wohle der einzelnen Mitgliedsstaaten wurde Politik betrieben, sondern im Interesse multinationaler (Finanz-) Konzerne und ihrer Lobbyistenverbände. Kein Wunder also, dass die Menschen irgendwann die Nase voll haben, weil sie merken, dass Brüssel alles andere tut, nur nicht das, was einst im Vertrag von Maastricht formuliert worden war. (Genauso wie die NATO gerade alles andere tut als das, was durch den Zwei-plus-Vier-Vertrag von 1990 Russland gegenüber zugesichert wurde, nämlich dass es keine NATO-Osterweiterung geben wird.)
Der Unterschied zwischen Honecker und Juncker ist allerdings ein gewaltiger. Denn die Mächtigen in Brüssel sind nicht gleichzusetzen mit einem überalterten Politbüro der Marke DDR, das vor lauter Altersschwäche in sich zusammenfiel. Ganz im Gegenteil. Sie verkörpern den langen Arm der globalen Hochfinanz, der Konzern- und Monopolinteressen. In Luxemburg war Juncker bester Freund der Großkonzerne, die mit Hilfe seiner Regierung Milliarden Euro am Fiskus vorbeischleusten. Zu Lasten des Gemeinwesens, versteht sich.
Wie tief der Brüsseler Sumpf von Korruption und Vetternwirtschaft geworden war, zeigte Anfang der 2000er Jahre die Dutroux-Affaire – das Ermittlungsverfahren gegen den Kinderschänder, Mörder und Dealer Marc Dutroux, dessen Aktivitäten Kreise bis in höchste politische Ämter zogen. Dementsprechend wurde vertuscht und gemordet, was das Zeug hielt. Allein von 2001 bis 2004 verstarben nach Dutrouxs Verhaftung 27 Zeugen, die im Prozess aussagen wollten. Sogar die Presse half dabei mit, Opfer und Ermittler unglaubwürdig zu machen, um selbst keine Probleme zu bekommen.
Nach all dem, was ich über Brüssel gehört hatte, hab ich mir „das Herz Europas“ vor zwei Jahren etwas genauer angesehen. Man braucht bloß mal durch die Straßen des Regierungsviertels schlendern und die vielen Schilder lesen von Firmen und Verbänden, die sich dort angesiedelt haben. Erschreckend zu sehen, wie viele amerikanische Verbände darunter sind. Einflussreiche Lobbyistenverbände, die ihre Büros gleich um die Ecke haben – gegenüber dem Europäischen Parlament. Manche Lobbyisten brauchen nicht mal über die Straße gehen, sie nehmen einfach einen Verbindungsgang, der sie von einem Gebäude ins andere führt. Brüssel ist für sie die Washingtoner Außenstelle, gewissermaßen die amerikanische Botschaft ihrer Finanzinteressen.
Die Amerikaner haben Brüssel also längst infiltriert und der Brexit dürfte auch ganz in ihrem Sinne sein. Warum? Weil Großbritannien mit der City of London eh zum britisch-amerikanischen Empire gehört und ein geschwächtes Europa besser zu den globalen Großmachtsansprüchen passt als ein starkes. Auch die Sanktionen gegen Russland sind im Grunde nur ein Mittel, Europa zu schwächen (denn auch der deutsche, französische oder italienische Mittelstand leidet massiv darunter).
Die globale Politik der Amerikaner (damit sind natürlich nur die Eliten gemeint, die Vertreter des militärisch-industriellen Komplexes) ist am ehesten mit der Politik des Römischen Reiches zu vergleichen, die darauf ausgerichtet war, in allen Außenbezirken Stadthalter zu installieren, die uneingeschränkt römische Interessen vertraten. Heute ist das, nur mit anderen Vorzeichen, nicht viel anders.
Bei ihren Mitteln sind die USA nicht zimperlich. “Ideologisch flexibel“ könnte man ’s auch nennen. Ganz gleich, ob Taliban, IS-Krieger oder Nazis in der Ukraine, alles kein Problem, solange US-amerikanische Interessen vertreten werden. Während des Kalten Krieges wurden Diktaturen unterstützt oder installiert, heute werden ganze Länder und Regionen destabilisiert, nur um an die Ressourcen ranzukommen. Amerikanische Außenpolitik dient ausschließlich dem militärisch-industriellen Sektor und den Großkonzernen. Ihre Verbündeten sind eher Vasallen als gleichberechtigte Partner.
Selbst Deutschland verhält sich im Grunde wie ein Protektorat, das amerikanische Interessen vertritt, fühlt sich dem transatlantischen Bündnis uneingeschränkt verpflichtet, sodass die Worte Steinmeiers, die NATO betreibe an der russischen Grenze Säbelrasseln und Kriegsgeheul, tagelang für Irritationen sorgten – bis die Nachricht vom Brexit alles übertrumpfte.
Sehr verwunderlich übrigens, dass Cameron noch bis Oktober im Amt bleiben soll. War der Brexit vielleicht eine längst beschlossene Sache? Eine lancierte Undercoveraktion zur Durchsetzung britisch-amerikanischer Großmachtsansprüche? Ein Schelm, wer Böses denkt?
Was aus Europa wird, kann derzeit niemand sagen. Bleibt abzuwarten, welche Wendungen die politischen Entwicklungen in den einzelnen Mitgliedsstaaten nehmen. Ein geschwächtes Europa allerdings in einen Krieg mit Russland hineinzutreiben, wäre wohl das Schlimmste, was passieren könnte.