Samstag, 29. Juni 2013

Welt am Draht

Dass die Enthüllungen eines Edward Snowden für so viel Wirbel sorgen, zeigt im Grunde nur, wie naiv und gutgläubig wir waren. Vielleicht haben wir geglaubt, das Internet sei eine hübsche Erfindung, die uns das Leben leichter macht. Umfragen haben ergeben, dass mehr als 75 Prozent aller Internetnutzer lieber ihrem Partner den Laufpass geben würden, als aufs Internet verzichten. Klar, das Internet ist klasse. Aber es ist ein Trojanisches Pferd. Spätestens als Hackerattacken die Runde machten und die Öffentlichkeit davon erfuhr, wie relativ einfach es ist, mal kurz den Zentralrechner der NASA lahmzulegen oder den von x, y, z, spätestens dann hätte uns klar sein müssen, dass die Verbindung ins Internet keine Einbahnstraße ist. Und dass es nicht nur Hacker und Geheimdienste gibt, die sich das zunutze machen, sondern ebenso kommerzielle Unternehmen, die uns die Plattformen bieten für all unsere Aktivitäten. Verschlüsselung hin, Verschlüsselung her, inzwischen wissen wir, dass amerikanische und britische Geheimdienste längst jede Art von Internetdaten dechiffrieren können.
Dabei ist das Prism-Programm nur die Spitze eines Eisbergs. Es ist ein Algorithmus, der – wie der Name schon sagt – aus einem beliebig großen Input an Daten genau jene Daten herausfiltert, die für bestimmte Institutionen interessant sind. Dass es dabei nicht bei der Filterung terrorverdächtiger Daten bleibt, liegt auf der Hand. Politik steht immer unter dem Motto Wer nutzt, dem nützt. Insofern lieferte die Terrorismusbekämpfung die Legitimation für den weltweiten Krieg um Internetdaten. Abgesehen davon, dass Ausspähprogramme die Grundrechte der Demokratie verletzen, das eigentlich Bedenkliche daran ist die Tatsache, dass die Datenzulieferer Microsoft, Google, Facebook + Co. die Grundlage dafür liefern, dass das Verhalten eines jeden im Internet vorhersehbar gemacht werden kann. Die Konsequenz dessen ist erschreckend genug und ob wir es wahrhaben wollen oder nicht, der Mensch wird dadurch zur berechenbaren kommerziellen Größe, ja er wird schon bald – spätestens dann, wenn es das “intelligente Internet“ gibt – selbst Profile erstellen und sein Verhalten aufgrund von Datenanalysen und Erwartungsprofilen steuern. Im Grunde ist das noch schlimmer als in Orwells 1984. Bleibt nur zu hoffen, dass es in Zukunft genügend Menschen gibt, die sich nicht manipulieren lassen und dieses Spiel nicht mitmachen. Denn es gehören immer zwei dazu. Die eine Seite, die es macht, und die andere, die mitmacht oder eben nicht.

Dienstag, 11. Juni 2013

Mein Golf und der Polizeieinsatz am 1. Juni in Frankfurt

Mein Golf ist ein gutes und bewährtes Auto. Viele auf der Welt würden gern ein solches Fahrzeug fahren. Auch beneiden uns viele wegen unserer parlamentarischen Demokratie, auf die wir zurecht stolz sein können. Allerdings gibt es noch etwas, was beide Beispiele miteinander verbindet – leider: Sie funktionieren wunderbar bei schönem Wetter, aber nicht unbedingt, wenn es regnet, hagelt oder schneit. Und nur bedingt, wenn die Straße uneben oder mit Leuten verstellt ist, die friedlich demonstrieren wollen. Selbst Letzteres wäre noch kein Problem, wenn man z. B. gegen Krieg, gegen Landminen oder zu hohe Strompreise demonstrieren würde. Im Grunde (denn im Grundgesetz ist Versammlungsfreiheit garantiert) darf man in Deutschland gegen alles Mögliche demonstrieren (man darf auch Neonazi sein und durch die eine oder andere Großstadt ziehen, dann wird man von der Polizei sogar noch beschützt), nur eines darf man nicht: gegen Bankenmacht und Profitgier sein! Dann wird man sofort als Anti-Kapitalist eingestuft und von der Staatsmacht aufs Schärfste bekämpft. So geschehen am 1. Juni in Frankfurt, als etwa 20.000 Menschen, darunter auch viele Frauen und Kinder (der 1. Juni ist Kindertag) friedlich gegen ebendiese Bankenmacht und Profitgier demonstrieren wollten. Sie kamen keine dreihundert Meter weit, weil eine Armada von hochgerüsteten und vermummten Polizeikriegern den Block der Linken aus dem Nichts heraus brutal überfiel und einkesselte. Die Eskalation wurde ganz bewusst initiiert, um friedliche Demonstranten als „antikapitalistische Gewalttäter“ zu diffamieren und den gesamten Demonstrationszug zum Stehen zu bringen (ein Spezialkommando übernahm gewaltsam den Lautsprecherwagen). Dann wurde innerhalb und außerhalb des Kessels wahllos auf Demonstranten eingeschlagen, auf Alte und Junge, Frauen und Kinder. Dabei gab es Hunderte Verletzte. Glück im Unglück, dass auch Bundestagsabgeordnete der Linken darunter waren. Nur deshalb wird dieser schwarze Tag der deutschen Demokratie nicht in der Versenkung verschwinden.
Ich überlege, ob ich meinen Golf verkaufe und mir stattdessen ein durchsichtiges Polykarbonat-Schutzschild zulege. Das kostet 219 € plus Versand. So viel dürfte ein 15 Jahre alter Golf IV noch wert sein. Unterm Strich kann man zum 1. Juni im Frankfurter Bankenviertel nur eins sagen: Nicht abschrecken lassen! Nur mal angenommen, jeder Demonstrationsteilnehmer würde das nächste Mal mit einem Schutzschild erscheinen (und einem kleinen Wasserkanister zum Ausspülen der Augen gegen Pfefferspray) ... Gar nicht auszudenken, was das für Eindruck machen würde. Im September 1989 haben ganze 2000 Leute in Leipzig damit begonnen, schweigend um den Ring zu ziehen und damit die Wende einzuleiten! Sicher, die übermächtigen Finanzlobbyisten sind alles andere als überalterte Politbüro-Strategen. Sie haben Sonder- und Eliteeinheiten der Polizei im Rücken, die alles unternehmen werden, um ihre Macht zu sichern. Und dennoch: Selbst im Frühjahr 1989 hätte noch niemand wirklich daran geglaubt, dass sich in der DDR jemals etwas ändern würde ...